Singapur: Regionalisierung der Tourismusindustrie
Rolf Jordan
Mehr als ein Jahrzehnt lang verzeichnete die Tourismusbranche Singapurs konstant hohe Wachstumsraten; in den achtziger Jahren etwa 10% jährlich, in der ersten Hälfte der neunziger Jahre durchschnittlich 7%. Doch nun, so scheint es, führt die wirtschaftliche Krise in der Region auch in Singapur zu einem deutlichen Rückgang der Touristenzahlen. So gab das Singapore Tourism Board (STB) im Februar bekannt, daß im vergangenen Jahr mit insgesamt 7,2 Mio. Gästen etwa 1,3% weniger Touristen den Stadtstaat besuchten als noch ein Jahr zuvor. Diesen Rückgang führte das STB vor allem auf die anhaltenden Brände im indonesischen Regenwald im Herbst letzten Jahres zurück. Gleichzeitig prognostizierte das Board für 1998 einen weiteren Rückgang der Touristenzahlen auf 6,6 Mio. Besucher; hier vor allem – aufgrund der Wirtschaftskrise – bei Gästen aus den asiatischen Nachbarstaaten. Der bis zu 20%ige Rückgang bei dieser Besuchergruppe, so die Hoffnungen des STB, würden jedoch durch einen gleichzeitigen Anstieg bei den Besucherzahlen aus Europa, Nordamerika und Australien zumindest teilweise kompensiert werden können. Entsprechend reduzierte Singapore Airlines (SIA), ein wichtiger Akteur nicht nur im heimischen Tourismusgeschäft, ihre Flüge in einige der von der Wirtschaftskrise betroffenen Länder Südostasiens, um gleichzeitig die Zahl der Flüge in die USA und nach Europa zu erhöhen.
Die nur drei Monate später veröffentlichten Zahlen bestätigten teilweise die Prognosen des STB. Mit 1,52 Mio. Besuchern im ersten Quartal 1998 kamen etwa 20% weniger Gäste nach Singapur als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Allerdings erfüllten sich die Hoffnungen der Planer im STB nicht, daß ein Mehr an Besuchern aus westlichen Industriestaaten den krisenbedingten Rückgang bei Gästen aus den Nachbarländern wettmachen würde. Vielmehr handelt es sich um einen generellen Rückgang der Besucherzahlen.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung sollen im folgenden jene neuen Tourismuskonzeptionen des STB vorgestellt werden, mit deren Hilfe der Stadtstaat eine stärkere Regionalisierung seiner Tourismsindustrie anstrebt. Unter dem Motto ‘Tourism 21 – Vision of a Tourism Capital’ strebt das STB nicht nur den Ausbau des Stadtstaates zu einer Weltmetropole des Tourismus an, sondern gleichzeitig auch eine von Singapur ausgehende stärkere touristische Entwicklung in den Nachbarstaaten. Angesichts der oben beschriebenen Entwicklungen ist dabei nach den Zukunftsperspektiven und möglichen Problembereichen einer solchen Planungskonzeption zu fragen.
Das bereits vor zwei Jahren formulierte Programm zielt im wesentlichen auf eine stärkere Regionalisierung bei der touristischen Vermarktung Singapurs. Hintergrund der Planungen sind dabei die positiven Prognosen der World Travel Organization, wonach bis zum Jahr 2010 die Zahl der Touristen in der Region auf über 190 Mio. ansteigen werden; der Anteil der asiatisch-pazifischen Region würde sich dann von derzeit 14% auf 20% erhöhen.
Nach den Plänen des STB soll dem Stadtstaat in Zukunft die Rolle eines Gateways internationaler Tourismusströme in die umliegende Region zukommen: „As a tourism business centre, Singapore will concentrate on the business aspects of tourism, ensuring that the industry’s economic contribution is enhanced through product innovation and promotion of tourism-related investments.”
Grundlage dieser Planung ist die zentrale Lage des Stadtstaates in relativer Nähe zu den wichtigsten Urlaubsorten der Region und die Existenz einer hervorragend entwickelten Infrastruktur. Der Stadtstaat ist daher nicht nur für viele Touristen, sondern auch für einen Großteil der Firmen in der Tourismusbranche ein wichtiger ‘Tourism Hub’. Im eigenen Land zielen die Strategien (siehe Kasten) des STB darauf, den Standort zu einer führenden Kultur- und Vergnügungsmetropole in der Region auszubauen und somit gleichermaßen Touristen wie auch Geschäftsreisende und Investoren anzusprechen. Gleichzeitig gilt es, unter dem Stichwort ‘Configuring New Tourism Space’, stärker als bisher touristische Attraktionen und Angebote auch in den Nachbarstaaten in die eigene Tourismuskonzeptionen – etwa in Form von ‘Regional Tour Packages’ – zu integrieren.
„Regionalisation is a key strategy for Singapore’s continued economic development. By looking beyond our own shores, the national economy itself is strengthening through enhanced opportunities.”
Tourism 21
Vision of a Tourism Capital
– Strategic Thrusts –
Redefining Tourism
Reformulating the Product
Developing Tourism as a Industry
Configuring New Tourism Space
Partnering for Success
Championing Tourism
Wie nun ist eine solche Entwicklungsplanung einzuschätzen? Aus der Perspektive Singapurs bedeutet eine Regionalisierung der Tourismusindustrie zweierlei: Erstens eine stärkere Diversifizierung sowohl des touristischen Angebots, als auch der entsprechenden Investitionsströme und zweitens eine zunehmende Interdependenz in Hinsicht auf die ökonomische und politische Entwicklung in der gesamten Region. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre stieg der Besucheranteil aus Staaten der asiatisch-pazifischen Region am gesamten Tourismusaufkommen auf über zwei Drittel an – nicht zuletzt auch ein Resultat des sich ausweitenden Tourismusmarktes in der Region aufgrund eines anhaltenden Wirtschaftsbooms. Gleichzeitig haben aber das Fernbleiben einer großen Zahl von Besuchern aus aller Welt aufgrund der schweren Regenwaldbrände Ende 1997 und der Rückgang vor allem der Touristenzahlen aus der Region infolge der fortdauerenden ökonomischen Krise auch die strukturellen Grenzen und Risiken einer raschen regionalen Tourismusentwicklung aufgezeigt.
Aus der Perspektive der in diese Tourismuskonzeption einbezogenen Nachbarstaaten Singapurs stellt sich die Frage, ob diese Entwicklung tatsächlich eine ‘Win-Win-Partnership’ ist, wie von den Planern des STB propagiert. Vorteile ergeben sich zum einen aus der Möglichkeit, auf die sehr gut ausgebaute touristische Infrastruktur und Managementlogistik Singapurs zurückgreifen zu können. Zum anderen führt eine Diversifizierung der Investitionsströme in diesem Sektor auch zu einer Umleitung der entsprechenden Kapitalflüsse in Projekte der umliegenden Region. Und nicht zuletzt bedeutet eine engere Zusammenarbeit bei der Planung und Vermarktung des touristischen Angebots auch eine Verringerung von Konkurrenzen innerhalb dieses Marktes und damit nicht zuletzt auch ein geringeres Investitionsrisiko für alle Beteiligten.
Dagegen schließt aber eine solche umfassende Tourismuskonzeption die Möglichkeit alternativer Tourismusplanungen vor Ort zumeist aus. Dies betrifft Planungsansätze auf nationaler Ebene ebenso wie auf regionaler und kommunaler Ebene. Eine mögliche Folge hiervon ist unter Umständen eine deutliche regionale Ungleichentwicklung entgegen bestehender nationaler Entwicklungsplanungen. Ein Beispiel ist hier etwa der gemeinsam mit der indonesischen Regierung betriebene touristische Ausbau der Insel Bintan, nur wenige Kilometer südlich von Singapur gelegen. Diese Entwicklung hat unter anderem auch zu einer weiteren geographischen Konzentration des Tourismus und gleichzeitig auch zu einer Verschärfung sozio-ökonomischer Disparitäten zwischen den einzelnen Regionen und Provinzen des indonesischen Archipels geführt.
Eine Regionalisierung der Tourismusbranche Singapurs wird nur dann ein zukunftsfähiges Konzept darstellen, wenn auch die in diese Konzeption einbezogenen Länder in der Region einen wirtschafts- und sozialpolitisch stabilen Kurs halten können. Doch zeigt die Vielschichtigkeit etwa der aktuellen Wirtschaftskrise, welchen Unwägbarkeiten sich solch ambitionierte Entwicklungsplanungen gegenüber sehen. Dessen sind sich auch die Planer vor Ort bewußt. Mit dem Ziel einer Stärkung und Entwicklung der Tourismusbranche in den Nachbarstaaten wurden daher bereits eine ganze Reihe von bi- und multilateralen Abkommen auf Regierungsebene abgeschlossen. Insgesamt ist die umfassende Planungskonzeption dabei als Versuch zu sehen, angesichts zunehmender ökonomischer Globalisierung eine grundlegende Restrukturierung der Tourismusmärkte Südostasiens zu vollziehen.
Quellen
- Südostasien aktuell. März 1998
- Südostasien aktuell. Juli 1998
- Singapore Tourism Board (STB): Tourism 21 – Vision of a Tourism Capital