Die heutige Krisensituation Indonesiens und deren Hintergründe
Christiane Heinen, Daniela KussbergerSchon vor Monaten gingen auf der dicht bevölkerten Insel Java die Einwohner zu Hunderten auf die Straße, um gegen das indonesische Regime zu protestieren, an dessen Spitze 32 Jahre lang der autokratisch herrschende Präsident Suharto stand.
Der Stein geriet durch den Ausbruch der asiatischen Währungs- und Finanzkrise vor gut einem Jahr ins Rollen (vgl. Chronologie). Die Preise für Lebensmittel stiegen schlagartig an. Nach dem vom Internationalen Währungsfonds (IWF) geforderten Wegfall staatlicher Subventionen, konnten sich nur noch wenige Indonesier Benzin, Kochöl oder Strom leisten. Vor wenigen Monaten kosteten etwa 400 Gramm Milchpulver 7000 Rupiah, heute muß man mit rund 18000 Rupiah (3 DM) rechnen. Der gesetzliche Mindestlohn beträgt derzeit rund 1,50 DM am Tag. Die Inflation ruinierte den Mittelstand, der sich in den letzten Jahren des ungebrochenen Wirtschaftswachstums erst gebildet hatte.
Verzweifelte Menschen stürmten und plünderten Läden, die den unbeliebten Chinesen gehören, welche von den Indonesiern für die jüngsten Preiserhöhungen verantwortlich gemacht werden. Sie gelten als Günstlinge des Suharto Regimes. Nicht nur Studenten forderten in energischen Protestmärschen den Rücktritt des 76-jährigen Patriarchen, sondern auch Mitglieder anderer Bevölkerungsgruppen, religiöse Führer und Ex-Minister schlossen sich den Kundgebungen an. Rufe wie “Turunkan Suharto” (Nieder mit Suharto) wurden immer lauter. Seit Polizisten Mitte Mai sechs Studenten einer privaten Universität während eines Protests erschossen hatten, nahmen blutige Ausschreitungen zwischen Militär und Demonstranten ihren Lauf.
Die Geschichte scheint sich im größten muslimischen Staat der Welt zu wiederholen: die innenpolitische Krise in den 60er Jahren, welche ähnlich wie heute durch die sich verschlechternde wirtschaftliche Situation, aber auch durch politische Machtkämpfe zwi-schen Parteien und Militär und durch den verstärkten Einfluß der kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) ausgelöst wurde, endete am 30.9.1965 mit einem angeblichen kommunistischen Putschversuch, der durch General Suharto blutig niedergeschlagen wurde. Nachdem am 11.3.1966 in Jakarta und anderen Städten große Demonstrationen gegen den Staatspräsidenten stattfanden, zwang die militärische Führung Sukarno, seine Machtbefugnisse an Suharto abzugeben.
Am 27.3.1968 trat Suharto seine erste 5-jährige Amtszeit als Staatspräsident des Inselstaates an. Suhartos Führung war durch die Pancasila, eine 5 Punkte Staatsphilosophie, geprägt. Immerhin war es ihm gelungen, die ökonomische Krise in den Griff zu bekommen und durch kontrollierte ausländische Investitionen die Wirtschaft anzukurbeln. Ebenfalls konnten die Probleme der Infrastruktur verbessert werden. Es war eine Politik der Neuen Ordnung, die auf der Grundlage von 5-Jahresplänen (Repelita) sektorale und regionale Ent-wicklungsprogramme vorsah. Unter Suharto fand eine Konsolidierung der staatlichpolitischen und sozioökonomischen Entwicklungen statt.
Sein Regime war durch liberale Wirtschaftspolitik, aber auch durch Unterdrückung jeder linksgerichteten Opposition gekennzeichnet. Er war außerdem daran interessiert, die politische Entscheidungsmacht aus Parlament und Regierung in die Hände einer kleinen Gruppe von Armeeoffiziere zu legen.
Schon seit Jahren machte sich in der Bevölkerung Unmut über Korruption und Vetternwirtschaft breit, für die vor allem auch der Suharto-Clan bekannt ist. In keiner Lebenslage können die Indonesier das “Reich der Suharto-Firmen” umgehen. Tien, die 1996 verstorbene Ehefrau Suhartos nannte man auch “Madame 10 %”, weil sie ihre Hand überall aufhielt – ihren Kindern Tutut, Tommy, Bambang, Titiek, Mamiek und Sigit hat sie einen ausgeprägten Geschäftssinn mitgegeben. So wird das Vermögen der Suhartos nach Angaben von Transparency International (TI) auf bis zu 30 Mrd. Dollar geschätzt.
Auch die Durchführung von diversen staatlichen Projekten und Entwicklungsplänen, die die totalitäre Art der Machtausübung der Regierung Suhartos zum Ausdruck brachten, gingen zumeist auf Kosten der Bevölkerung. Besonders in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen, insbesondere auf Ost-Timor, erfuhr der Staat vehemente Kritik von ausländischer Seite.
So ist zum Beispiel “Transmigrasi” seit den siebziger Jahren das größte staatlich organisierte Umsiedlungsprojekt der Welt, welches die überwiegend sozialen Probleme speziell auf der Insel Java zu lösen versucht. Millionen Menschen sollen in weniger stark bevölkerte Gebiete umgesiedelt werden und die Erschließung und Entwicklung bislang ungenutzter Regionen des riesigen Inselreichs soll vorangetrieben werden. Man versuchte somit durch “Javanisierung” und Unterdrückung der Völker der Außeninseln Kontrolle über das Land auszuüben. Das Transmigrasiprojekt hat speziell von westlicher Seite umfangreiche Proteste erfahren.
Ähnlich verhält es sich mit unangepaßten Großprojekten im Fremdenverkehrssektor, wie beispielsweise das in jüngster Zeit anvisierte Bali Nirwana Resort. Hierbei handelt es sich um den Bau einer Wohn- und Freizeitanlage mit Golfplatz in unmittelbarer Nähe des Tempels von Tanah Lot auf Bali. Das für das Resort ausgesuchte Gebiet umfaßt bedeutende Reisanbaugebiete; die betroffenen Bauern mußten unter dem Druck von Regierungsstellen ihr Land zu nicht adäquaten Preisen verkaufen und somit wurde ihnen ihre Existenzgrundlage entzogen. Dieses Projekt hat massive Kritik erfahren, sowohl in kulturell-religiöser Hinsicht, als auch in ökologischer. Da Heiligtümer nicht durch profane Gebäude überragt werden dürfen, würde ein sakraler Ort entweiht. Der Protest der balinesischen Bevölkerung kam durch Demonstrationen vor dem Regionalparlament zum Ausdruck, die allerdings von der Polizei blutig niedergeschlagen wurden. Letztendlich konn-ten doch noch kleine Zugeständnisse erzielt werden.
Anstatt horrende Summen in teilweise unangepaßte Großprojekte zu investieren, könnte das Geld sinnvollerweise für Entwicklungsprojekte zu Gunsten der Bevölkerung genutzt werden.
Seit nun als Folge der Wirtschaftskrise wieder etwa die Hälfte der 202 Mio. Indonesier unterhalb der Armutsgrenze (auf dem Stand von 1970) leben muß, ging die breite Masse des Volkes auf die Straßen, um das Abtreten des dienstältesten Diktators Asiens zu fordern. Durch Druck der ihm bislang stets treuen Parlamentarier und des mächtigen Militärs verkündete dieser am 21.05.1998 schließlich seinen schon längst überfälligen Rücktritt. Reaktionen aus dem In- und Ausland begrüßten und würdigten den friedlichen Machtwechsel.
Bacharuddin Jusuf Habibie, seit Jahrzehnten Suhartos treuester Gefolgsmann, ist nun sein Amtsnachfolger. Der an der RWTH Aachen ausgebildete und promovierte Flugzeugingenieur arbeitete sich im deutschen Rüstungskonzern Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) im Management ganz nach oben. Seit 1978 versuchte er als Minister für Technologie und Forschung die indonesische Flugzeugindustrie aufzubauen.
Der ehrgeizige Habibie versprach, mit Vetternwirtschaft und Korruption aufzuräumen und kündigte totale Reformen in Politik, Wirtschaft und Justiz an. Deshalb könnten die angekündigten freien Wahlen eine Chance für Indonesiens Bevölkerung sein, nach 40 Jahren zum ersten Mal zwischen mehreren Kandidaten zu entscheiden. Das Problem liegt allerdings im fehlenden politischen Bewußtsein der meisten Indonesier, das sich im Laufe der Zeit noch entwickleln muß.
Dennoch sehen viele Oppositionelle Habibie mit Skepsis. Da sich auch Habibie im Laufe seiner Amtszeit einen Ruf als Freund teurer Mammutprojekte geschaffen und seine Visionen auf Kosten dringlicherer Entwicklungsprojekte durchgesetzt hat, muß er seine Unabhängigkeit von Suharto noch unter Beweis stellen. Obwohl dieser betonte, sein Nachfolger werde die volle Amtszeit bis 2003 ausschöpfen, sehen viele in Habibie nur einen Übergangspräsidenten.
So zeigt sich die politische Lage in Indonesien noch nicht vollkommen entschärft. Vor dem Parlament lagern Studenten mit Transparenten gegen Habibie – Muslimführer Amien Rais fordert, daß der ehemalige Diktator vor Gericht für das einstehen müßte, was er dem Volke angetan hat.
Quellen:
- Aachener Nachrichten (AN), 54. Jahrg., Nr. 113, 16.05.1998, S. 2.
- AN, 54. Jahrg., Nr. 117, 22.5.1998, S. 1/2.
- ‚Das Zittern des Bambus’, Spiegel Nr. 22, 25.5.1998, S. 136-140.
- ‚Der sterbende Elefant’, Spiegel Nr. 21, 18.5.1998, S. 166-169.
- ‚Suhartos Republik’, Internet: http://wiwiss.tu-berlin.de/cippage/~4722/history/nation.3.htm (Stand vom 21.5.1998)
- RIELÄNDER, K. (u.a.), Wem gehört Bali?, in: Vehement (Hrsg.), Tourismus und ‚Dritte Welt’, Standpunkte 1/96, S. 15-18.