Pacific News #11

 

Megastädte* im pazifischen Asien

Paul Blazek

* Der Terminus “Megastadt” ist hier reduziert auf das formal-statistische Kriterium der Bevölkerungsgröße mit einer Untergrenze von 10 Millionen Einwohnern definiert (zur Definitionsproblematik des Begriffs siehe BRONGER 1996).

Das weltweit beobachtbare Wachstum der Städte stellt den größten Einzelfaktor dar, der die Menschheitsentwicklung in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts bestimmen wird. Dieser Prozeß der Verstädterung, also der Expansion der Städte nach Zahl, Fläche und Einwohnern, hat eine starke Eigendynamik angenommen, und verschiedene Studien zeigen, daß spätestens im Jahre 2005 mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten leben wird (Vgl. UNFPA 1996). Besonders auffallend an dieser Entwicklung ist die verstärkte Ausbildung riesiger urbaner Agglomerationen, welche nunmehr in der Stadtgeschichte einzigartige Dimensionen angenommen haben.

War 1950 noch New York die einzige Stadt der Welt mit einer Einwohnerzahl von über 10 Millionen, so existierten 20 Jahre später weltweit drei solcher Megastädte; heute ist ihre Zahl bereits auf 14 angestiegen. Den neusten Schätzungen der ASIAN DEVELOPMENT BANK gemäß werden im Jahre 2025 alleine in Südost- und Ostasien 11 Städte diese Größenmarke erreicht bzw. deutlich überschritten haben (siehe Abbildung und Tabelle). Die größte Stadt der Welt, Tokyo, ist dabei derzeit noch die einzige, die mehr als 20 Millionen Einwohner aufweist.

Ein erkennbarer Trend ist allerdings die nur noch begrenzte Expansion der Bevölkerungszahl der großen städtischen Agglomerationen des “Nordens”; Differenziert müssen also zwei Tendenzen der Verstädterungsprozesse betrachtet werden:

Während die starke Wachstumsdynamik in den Städten der Industrieländer immer stärker abflacht (siehe Tabelle: Japan, Südkorea), setzt sich das rapide Stadtwachstum in den Schwellen- bzw. Entwicklungsländern ungehindert fort. Als Extrembeispiele für diese Entwicklung seien im pazifischen Asien die Megastädte Osaka und Yangon genannt: Ist im Ballungsraum von Osaka-Kobe das Bevölkerungswachstum zum Stillstand gekommen, so wird die Einwohnerzahl der Hauptstadt von Myanmar innerhalb von nur drei Dekaden um mehr als das 2½fache zunehmen.

Ursachen des Stadtwachstums

Als primäre Ursachen für den Wandel zu einer “urbanen Welt” lassen sich vor allem zwei dominante Prozesse identifizieren: das anhaltend massive Bevölkerungswachstum in den Städten (Eigendynamik) und das Phänomen der Land-Stadt-Wanderung.

Während bis in die 70er Jahre die natürliche Zunahme der Bevölkerung städtischer Ballungsräume nur für durchschnittlich 30% des Stadtwachstums verantwortlich war, ist sie inzwischen zum größten kausalen Faktor für die Expansion der Städte geworden (die relativen städtischen Geburtenraten übertreffen die nationalen teilweise deutlich (bestehender Zusammenhang auch mit der geringeren Säuglingssterblichkeit aufgrund besserem Zugang zu medizinischer Versorgung)).

Neben der Zunahme der Stadtbevölkerung durch das Eigenwachstum der Städte, spielt die Zuwanderung aus dem ländlichen Raum eine fundamentale Rolle:

Die Ursachen für diese rural-urbane Binnenmigration werden in Push- und Pull-Faktoren differenziert.

Unter Pull-Faktoren versteht man die Anziehungskräfte der Städte, welche sich hauptsächlich in Erwartungen der Migranten an bessere Arbeits-, Bildungs- und Lebensmöglichkeiten ausdrücken.

Die Push-Faktoren sind Abstoßungskräfte der ländlichen Regionen.

Bei sinkenden Weltmarktpreisen für Agrarprodukte, gleichzeitig steigende Inputkosten, Flurzersplitterung, Unterdrückung durch Großgrundbesitzer und Verschlechterung der ländlichen Infrastruktureinrichtungen scheint das Abwandern in die Großstadt vor allem für Kleinstbauern häufig die einzige Option. Wichtigste Motivation für Migranten stellt jedoch die Suche nach Arbeit dar, da die Möglichkeiten in der Peripherie oft ausgeschöpft sind.

Positive und negative Merkmale von Megastädten

In Ost- und Südostasien befinden sich viele der gegenwärtig am raschesten wachsenden Großstädte der Welt. Die hohen Wachstumszahlen der Volkswirtschaften in den vergangenen drei Dekaden festigten gerade diese Städte als rezente Wachstumszentren.

Das gleiche schematische Stadtbild ist charakteristisch: Die steigende Nachfrage nach stadtzentraler Präsenz in Folge des Wirtschaftsboom führt aufgrund der naturdeterminierten Knappheit des Baulandes zu einem Anstieg der Bodenpreise. Das Ergebnis ist vertikales Wachstum (Bürotürme, Großhotels, Kondominien), welches weltweit in Stadtkernen eine ähnliche formale Ausprägung aufweist.

Überragend ist in der Tat die Bedeutung der Städte als wichtige “Motoren” der nationalen Volkswirtschaft. So wird beispielsweise in Bangkok 37% von Thailands Bruttosozialprodukt, in Manila 24% des BSP der Philippinen und in Tokyo und Osaka zusammen 36% des japanischen BSP erwirtschaftet (1990, ASIAN DEVELOPMENT BANK).

Daneben sind Megastädte Orte der gesammelten Kultur, der Wissenschaft und Freizeitangebote, Zentren der geballten menschlichen Kreativität. Indikatoren, welche persönliche Entwicklungsmöglichkeiten und Bildungsstand, Alphabetenquote, Zugang zu Gesundheitsdiensten, soziale Toleranz etc. erfassen, bescheinigen bei Bewohnern urbaner Ballungsräume deutlich bessere Werte als bei jenen ländlich-peripherer Gebiete.

Allerdings zeitigen die quantitativen Dimension der Megastädte nahezu immer gravierende Überlastungsprobleme, welche die Qualität des städtischen Lebens massiv beeinträchtigen können.

Eine ausreichendes Versorgungniveau einer stetig wachsenden Stadtbevölkerung sicherzustellen, ist schwierig und teuer. Zudem geht mit dem Bevölkerungswachstum ein ständiger Flächenverbrauch einher. Fehlende Flächennutzungsplanung und ohnmächtige Ordnungskontrolle führen allzuhäufig dazu, daß sich Riesenstädte ohne nachhaltige staatliche Einflußnahme entwickeln.

Finden strukturwirksame Entscheidungen statt, so weisen sie oft keine langfristige Qualität auf. Infrastrukturprojekte werden meist reaktiv realisiert. Besonders die Verkehrsinfrastruktur droht in vielen Megastädten zu kollabieren. Das hohe Verkehrsaufkommen trägt zu einer steigenden Luftverschmutzung und zur Lärmbelästigung der Bewohner bei. Probleme mit der Abfallentsorgung führen zur Verunreinigung von Grund- und Flußwasser, tragen somit zur Verknappung von Trinkwasser bei. Die Lebensqualität der breiten Masse der Stadtbewohner hat in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen, während die Umfeldstressoren zugenommen haben.

Der ständige Zufluß von Arbeitsmigranten stellt hohe Anforderungen an die Organisation des Arbeitsmarktes, welche nicht erfüllt werden können. Der Mangel an Arbeitmöglichkeiten und die zunehmende Verarmung werden zum selbstverstärkenden Kreislauf: Die Beschäftigung zu Niedrigstlöhnen oder das Ausweichen in die Schattenwirtschaft beschneiden die eigenen Bildungsmöglichkeiten und die der Familienmitglieder; in Folge klafft die Schere von “low skill/low pay” und “high skill/high pay” immer weiter auseinander. Armut jedoch verhindert das Nutzen des Potentials der Stadt und zieht eine wachsende ökonomische und soziale innere Polarisierung der Bevölkerung nach sich. Am Ende steht die Segregation, denn die ökonomische Randexistenz ermöglicht nur noch das Leben in Marginalsiedlungen.

Marginalsiedlungen sind gekennzeichnet durch den Zerfall der üblichen Sozialstrukturen (allerdings kommt es zu einer Ausbildung neuer Beziehungs- und Identifikationsmuster, oft in Form von Netzwerken oder Nachbarschaftsinitiativen, welche helfen, das Überleben zu sichern), Kriminalität, provisorische bzw. zerfallende Bausubstanz, mangelhafte Hygiene und ökologische Probleme (Verschmutzung von Wasser und Luft).

Stadtstudien vermuten, daß in Zukunft vor allem der Anteil dieser Slumbewohner an der städtischen Gesamtbevölkerung zunehmen wird; Armut wird in Zukunft also immer mehr als spezifisch städtisches Problem begriffen werden (UNFPA 1996).

Schon heute leben erschreckend große Teile der Stadtbevölkerung in Squattersiedlungen. Der UNITED NATIONS POPULATION FUND spricht in Thailand und Malaysia von 15%, in Indonesien gar von 54% der städtischen Bewohner, auf minderwärtigen Flächen in städtischen Gebieten ohne soziale Absicherung und unterhalb der Armutsgrenze leben.

Nationale Vorrangstellung

Es kommt in den meisten asiatischen Ländern im nationalen Kontext neben der demographischen Primacy der Megastadtzu einer dominanten Primatstellung im funktionellen Sinne. (Vgl. BRONGER 1996)

Wie weltweit in Entwicklungs- und Schwellenländern beobachtbar konzentriert sich die Dynamik des Verstädterungprozesses i. d. R. auf ein einziges Zentrum (“primate urban systems”) (Ausnahmen existieren nur bei Flächenstaaten (wie China oder Indien), in denen mehrere Megastädte fast gleichrangig nebeneinander bestehen können.)

Ergänzend zu der wachsenden Konzentration der Bevölkerung entwickelt sich eine zunehmende Konzentration der wirtschaftlichen, politisch-administrativen, kulturellen und sozialen Funktionen auf diese größte Stadt des Landes. Somit kommt es zu einer Zentralisierung der Macht- und Entscheidungsstrukturen und zu der Ausprägung eines nationalen Entwicklungsgefälles.

In jedem der betrachteten Länder im pazifischen Asien, in dem das Wachstum einer Megastadt beobachtbar ist, ist es gerade die Hauptstadt, die (auch) diesen Größenstatus erreicht und somit eine meist extreme Primatstellung unter den Städten des Landes aufweist.

Die ökonomischen Agglomerationsvorteile der Großstadt, die als externe Ersparnisse dadurch entstehen, daß sich verschiedene Produktionszweige räumlich an einem Standort bündeln, ziehen einen unverhältnismäßig großen Teil der Wirtschaftsaktivitäten führender Gewerbezweige an sich und zementieren die räumliche Asymmetrie, zumindest solange, bis die negativen Agglomerationseffekte (Verkehrsprobleme, starke Umweltbelastung, etc.) ein Ausmaß erreicht haben, das nicht mehr erträglich ist.

Eingliederung in Weltmarktzusammenhänge

Um die gegenwärtige und zukünftige Entwicklung der Städte und ihren inneren Strukturwandel erklären zu können, ist zunehmend ein grundlegendes Verständnis für die sich verstärkende Globalisierung von Wirtschaftsstrukturen essentiell. Viele aktuelle Beiträge zur Stadtforschung betonen die Notwendigkeit neben der Berücksichtigung nationalstaatlicher Zusammenhänge die Rolle der Städte im Geflecht der internationalen Arbeitsteilung und weltwirtschaftlichen Einbindung zu definieren und bieten Konzepte von Weltstadthierarchien an (Vgl. TAUBMANN 1996).

Es ist zu erwarten, daß immer mehr Megastädte in die Globalisierungsprozesse einbezogen werden, und sich “Global Cities” herausbilden, Städte, die untereinander starke Verflechtungen aufweisen und höchste Leitungs- und Lenkungsfunktion für die Weltwirtschaft besitzen.

Die Bedeutung der multinationalen Unternehmen wird zunehmen, und mit ihr sich die internationale Städtekonkurrenz um Ansiedlung dieser verstärken (Vgl. SASSEN 1997). Ihrerseits werden die Unternehmen einen formenden Einfluß auf die Transnationalisierung der Wirtschaftsstrukturen auf verschiedenen Maßstabsebenen haben. Dabei ist zu erkennen, daß Entwicklungsinteressen internationaler Investoren meist im Widerspruch zu nationaler ausgleichsorientierter Wirtschaftsgestaltung stehen.

Die Funktion und Rolle im weltweiten Stadtgefüge, welche die Megastädte Ost- und Südostasiens einnehmen, ist verschieden; die überragende internationale Bedeutung hat derzeit Tokyo inne. Als einzige “Global City” unter den Städten der Großregion ist Tokyo ein weltweit bedeutender Knoten- und Kristallisationspunkt der internationalen Finanz-, Kommunikations- und Warenströme.


Tokyo CBD

Auch wenn die wirtschaftliche Wachstumseuphorie deutlich nachgelassen hat, so scheint unstrittig, daß die langfristige Bedeutung des pazifischen Asiens im weltwirtschaftlichen Märktewettbewerb eine Aufwertung der Stellung der dortigen Megastädte in der internationalen Städtehierarchie zur Folge haben wird.

Quellen:

  • SASSEN, S.; Metropolen des Weltmarktes. Die neue Rolle der Global Cities, 2. Aufl., Frankfurt 1997.
  • FELDBAUER, P., HUSA, K. (u.a.) (Hrsg.); Mega-Cities. Die Metropolen des Südens zwischen Globalisierung und Fragmentierung, Frankfurt 1997.
  • ASIAN DEVELOPMENT BANK; The Development and Management of Asian Megacities, elektronisch veröffentlicht, URL: http://www.asiandevbank.org/megacity/index.htm (Stand: 1.7.98).
  • UNITED NATIONS POPULATION FUND; The State of World Population: Changing Places – Population, Development and the Urban Future, elektronisch veröffentlicht, URL: http://www.unfpa.org/SWP/SWP96/SWP96MN.HTM (Stand: 1.7.98).
  • BRONGER, D.; Megastädte, In: Geographische Rundschau, 48. Jg., Heft 2, 1996, S. 74-81.
  • TAUBMANN, W.; Weltstädte und Metropolen im Spannungsfeld zwischen “Globalität” und “Lokalität”, In: Geographie heute, Heft 142, 1996, S. 4-9.