Nach Jahren mit zweistelligen Zuwachsraten muß die Sozialistische Republik Vietnam in diesem Jahr erstmals mit einen Rückgang der internationalen Touristenankünfte gegenüber dem Vorjahr rechnen.
Die Gründe für diese Entwicklung sind nicht allein in der gegenwärtigen Finanz- und Währungskrise zu suchen, die die Ankünfte der Erholungs- und insbesondere Geschäftstouristen aus den ASEAN-Ländern, Hongkong, Südkorea, Taiwan und Japan hat drastisch sinken lassen. Bereits vor Beginn der regionalen Wirtschaftskrise, in den ersten 8 Monaten des Jahres 1997, hat Vietnam einen Rückgang der Besucherzahlen um über 6 % gegenüber dem Vorjahr verzeichnet. Nur durch den in Hanoi im November 1997 stattfindenden Frankophonie-Gipfel mit mehr als 2.000 Delegierten und Angehörigen, der Journalisten aus aller Welt und weitere Touristen angezogen hat, konnte zum Jahresende ein leichtes Plus der internationalen Touristen gegenüber dem Vorjahr erreicht werden, wobei sich bezüglich der tatsächlichen Zahl der Ankünfte die Angaben der staatlichen Tourismusbehörde (VTA) widersprechen (vgl. Tab. 1).
Tab. 1: Die Entwicklung der internationalen Touristenankünfte in Vietnam
Jahr | Ankünfte | Steigerung gegenüber Vorjahr |
1988 | 180.000 | – |
1989 | 215.000 | 19 % |
1990 | 250.000 | 16 % |
1991 | 300.000 | 20 % |
1992 | 440.000 | 46 % |
1993 | 670.000 | 52 % |
1994 | 1.020.000 | 52 % |
1995 | 1.360.000 | 33 % |
1996 | 1.600.000 | 18 % |
1997 | 1.700.0001 1.800.0002 | 7 % 12 % |
19983 | < 800.000 | – 15%4 |
Angesichts des Mitte der neunziger Jahre von der Vietnam National Tourism Authority (VNTA) ehrgeizig formulierten Zieles, zur Jahrtausendwende bereits über 3 Mio. ausländische Gäste begrüßen zu können, muß festgestellt werden, daß die Tourismusplaner das touristische Potential Vietnams überschätzt haben. Vietnam kann und wird sich nicht zu einem Thailand vergleichbaren Massentourismusstandort entwickeln. Dies liegt vor allem seinem ursprünglichen Angebot: Die meisten von Vietnams touristischen Attraktionen sind in den Konkurrenzländern Asiens – oft in einer höheren Dichte – ebenfalls und – teilweise schöner – vorzufinden: Tropische, gut erschlossene Sandstrände, die dem Idealbild eines Erholungssuchendem aus dem Westen entsprechen, findet zum Beispiel man eher in Indonesien, der Westküste Ostmalaysias oder auf den thailändischen Inseln. Die Bedürfnisse kulturorientierter Touristen werden in Thailand oder Bali reizvoller befriedigt. Naturliebhaber finden in Südchina bizarre Kegelkarstformationen, die denen der berühmten Halongbucht in nichts nachstehen.
One of the mayor tourist attractions of Vietnam: Halong Bay
Darüber hinaus scheint die Bedeutung der jüngeren Geschichte als Anziehungsfaktor für den Tourismus von den Planern überschätzt worden zu sein. Die Zahl der Franzosen etwa, die Vietnam häufig aufgrund seiner kolonialen Vergangenheit besuchen, hat bereits 1995 ihr Maximum mit 118.000 erreicht und sich bis 1997 wieder auf fast die Hälfte verringert. Für die Entwicklung der Besucherzahlen von US-Amerikanern, meist ehemaligen GI’s mit ihren Angehörigen gilt das Gleiche: Auch hier wurde mit ca. 152.000 Besuchern schon 1995 das Maximum erzielt, bis 1997 sank ihre Zahl auf ca. 40.000. In den vergangenen beiden Jahren haben sich die Herkunftsländer der internationalen Touristen in Richtung Asien verschoben: Die meisten Touristen, die 1997 Vietnam besucht haben, kamen aus China, Taiwan, Kambodscha und Japan. Die Entwicklung der Besucherzahlen aus den westlichen Staaten deuten zudem auf zwei grundlegende Manko der vietnamesischen Tourismuswirtschaft hin, die sich nicht allein durch die mangelnde Attraktivität des ursprünglichen Angebotes erklären lassen: Zum einen besuchen Touristen Vietnam – im Gegensatz etwa zu Thailand – selten ein zweites oder gar drittes Mal. Eine amerikanische Touristin faßte diesen Sachverhalt mir gegenüber einmal prägnant zusammen: “Once you’ve seen it, you don’t need to come back”. Zum anderen scheint die Mund-zu-Mund-Propaganda als anerkannt wichtigstes PR-Mittel für touristische Destinationen in Bezug auf Vietnam bislang keine überragende Rolle zu spielen
Offensichtlich wird das Reiseland Vietnam von vielen Touristen im Vergleich zu anderen, entwickelteren touristischen Destinationen in Südostasien subjektiv weniger positiv beurteilt. Dies liegt – wie gesagt – primär aber nicht am ursprünglichen Angebot, sondern an Defiziten im abgeleiteten Angebot, d.h. einem ganzen Faktorenbündel von Ursachen, die im folgenden kurz exemplarisch erläutert werden sollen.
- Restriktive Einreiseprozeduren
Bis heute ist es für Vietnamreisende nicht möglich, direkt bei Ankunft ein Touristenvisum oder Transitvisum ausgestellt zu bekommen. In Kambodscha ist dies bspw. kein Problem. Außerdem sind die Visagebühren mit 129.-DM/Person etwa für deutsche Touristen unverhältnismäßig hoch.
- Partielle Unterentwicklung der touristischen Infrastruktur
Obwohl der Mangel an Unterkünften in verschiedenen Preislagen in den meisten Städten behoben werden konnte (in den hohen und niedrigen Preislagen existiert teilweise sogar mittlerweile ein starkes Überangebot), fehlt es bspw. noch für Erholungsurlauber, insbesondere Rucksacktouristen, an adequaten Unterkünften/Bungalows entlang der bislang noch weitgehend unerschlossenen Küstenlinie Vietnams.
- Service/Ausbildung
Im südostasiatischen Vergleich sind Hotelpersonal, Fremdenführer oder Fahrer häufig schlecht geschult und werden bei auftretenden Problemen oft als fordernd oder unfreundlich empfunden.
- Ungünstiges Preis-Leistungsverhältnis
Im südostasiatischen Vergleich bewegen sich die Preise für Unterkünfte und geführte Touren noch immer an der Spitze der Pyramide (wenngleich die Preise aufgrund der zunehmenden Konkurrenz in den letzten beiden Jahren insbesondere in HCM-City zurückgegangen sind). Durch die Währungsabwertungen der ASEAN-Konkurrrenzländer hat sich der Tourismusstandort Vietnam zusätzlich verteuert.
- Mißachtung der Tradition
Der rasante wirtschaftliche Aufschwung in den letzten Jahren hat zu einer Erhöhung des Lebensstandards in fast allen Bevölkerungsteilen geführt, ging aber mit einer Zunahme der Umweltverschmutzung, Lärmbelästigung und Zerstörung historischer Bausubstanz einher, die auch den Touristen nicht verborgen bleibt. Beispiel: Die zahlreichen neu (zum großen Teil illegal) errichteten privaten Minihotels und der lärmende motorisierte Verkehr inmitten des historischen 36-Gassen-Gebiet Hanois haben den gewachsenen Charme dieses alten Handels- und Verkaufsviertels mit seinen weltberühmten Tunnelhäusern schon nahezu zerstört.
- Auswüchse des Informellen Sektors
Die Aggressivität von einigen Postkartenverkäufern, Schuhputzern, Münzsammler, Bettlern in den touristischen Zentren schreckt wohlmeinende Touristen ab und führt zu negativer Mund-zu-Mund-Propaganda.
Was ergibt sich aus dieser sicher unvollständigen Auflistung? Zunächst einmal sollen die Tourismusverantwortlichen Vietnams nicht an der Pranger gestellt werden. Wohl kein anderes (Entwicklungs-) Land auf der Erde mußte innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren einen Zuwachs der internationalen Touristenankünften um den Faktor 5 verkraften. Die überwiegend staatlich dominierte Tourismuswirtschaft ist mit dem Touristenboom trotz den genannten Defiziten vergleichsweise gut fertiggeworden. Das Beherbergungsangebot übersteigt zumindestens in den touristischen Metropolen HCM-City, Hanoi, Da Nang, Vung Tau, Hue und Nha Trang mittlerweile die Nachfrage. Die Hotelbetreiber beklagen sich über zu geringe Auslastungsraten, die Touristen freuen sich über sinkende Preise. Was bspw. die restriktiven Visabestimmungen betrifft, so hat die VNTA das Problem erkannt und der Regierung bereits vorgeschlagen, diese zunächst für Reisende aus den ASEAN-Staaten zu lockern. Das diese Maßnahmen zur Steigerung der Ankünfte beitragen können, zeigt bspw. der Anstieg der Besucherzahlen aus China nach Vereinfachung der Einreiseformalitäten 1996.
Zusammengefaßt muß festgestellt werden, daß die Tourismuswirtschaft Vietnams in eine Konsoldierungsphase getreten ist. Diese sollte von den Tourismusverantwortlichen als Chance begriffen werden, Maßnahmen und Strategien zu implementieren, die primär nicht mehr die Quantität, sondern nachhaltig die Qualität des touristischen Angebotes erhöhen. Spezielle Ausbildungs- und Schulungsprogramme für die in der Tourismuswirtschaft Tätigen müssen Teil dieser Maßnahmen sein.
1 Angabe nach:VNS: Vietnam attracts over 1.7 Million foreign tourists in 1997. in: VNA-Daily Bulletin. Nr. 05(253). 19.01.1998.
2 Angabe nach:VNS: Tourism Administration proposes visa-free access to Vietnam. in: VNA-Daily Bulletin. Nr. 09(288). 21.01.1998.
3 Ankünfte 1. Jahreshälfte 1998; nach: VNA: VN tourism authorities rejects reports of visa ban. In: Vietnam News Online Edition. Vol. 1. No. 12. 7.08.1998.
4 Veränderung gegenüber Planungsziel der Vietnam Tourism Administration (VTA); nach: VNA: VN tourism authorities rejects reports of visa ban. In: Vietnam News Online Edition. Vol. 1. No. 12. 7.08.1998.
Literatur
- SCHACHTSCHNEIDER, SÖNKE: Der Tourismus in Vietnam seit Doi Moi – Bedeutung, Entwicklungspolitische Ziele, Perspektiven. Unveröff. Staatsexamensarbeit. Hamburg, 1998.
- TRAN COUNG: Hanoi’s hotel industry needs careful planning. in: Vietnam News, 1.03.1998.
- VNA: VN tourism authorities rejects reports of visa ban. In: Vietnam News Online Edition, 1 (12). 7.08.1998.
- VNS: Vietnam attracts over 1.7 Million foreign tourists in 1997. in: VNA-Daily Bulletin, 05 (253). 19.01.1998.
- VNS: Vietnam receives fewer foreign tourists in first quarter. in: VNA-Daily Bulletin, 14 (107). 7.04.1998.